Herr Professor Weissman, mittels ERP-Software können Unternehmer und Führungskräfte heute auf betriebliche Kennzahlen aus den verschiedensten Bereichen
zugreifen. Wie lässt sich bei einer solchen Datenflut vermeiden, dass die Entscheidungsträger vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen?
Arnold Weissman: Jeder Mensch muss heute mehr als 1 Million bewusste und unbewusste Eindrücke am Tag verarbeiten. Da bleibt nicht viel Zeit, die
Aufmerksamkeit auf die wichtigen Informationen zu lenken. Auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen: 95 Prozent unserer Entscheidungen treffen wir unbewusst,
intuitiv. Um die richtigen Entscheidungen zu treffen, muss man den dahinter liegenden Wirkungsmechanismus kennen. In einem Unternehmens-Cockpit geht es also um
den Zusammenhang zwischen den Informationen, die ich nutze, und meinen Fähigkeiten, Zusammenhänge zu erkennen – und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Deshalb bauen wir in unseren Unternehmens- Cockpits mit dem Managementteam zusammen logische Ketten auf, die dann aus den vorhandenen Datenquellen die
notwendigen Informationen verdichtet zusammenstellen. Es schließt die Lücke zwischen strategischer Planung und operativer Umsetzung.
Wie finden Unternehmer denn heraus, welche Daten für sie tatsächlich relevant sind?
Strategisches Management ist Werttreibermanagement. Für die Unternehmensleitung geht es darum, herauszuarbeiten, wo die künftigen Kernkompetenzen,
Geschäftsfelder und Wettbewerbsvorteile liegen sollen. Die Strategie definiert also das Cockpit. Nur Segmente und Key Performance Indicators (KPIs), die für
das Unternehmen besonders relevant sind und die Zukunftsfähigkeit entscheidend prägen, haben den Anspruch, in ein Cockpit aufgenommen zu werden. Hier reden wir
über eine zeitliche Perspektive von fünf bis sieben Jahren. Die zweite Führungsebene leitet daraus die für sie relevanten Kennzahlen für ihr Ressort ab. Die
zeitliche Perspektive ist mittelfristig und umfasst hier in der Regel die nächsten zwölf Quartale. Auf der unteren Führungsebene geht es um die
Jahresperspektive, also um die operative Umsetzung der Strategie bis in das Tagesgeschäft. Es geht darum, in einem klar definierten Top-down- Prozess – also
von oben nach unten – Führungskräfte zu befähigen, die richtigen Entscheidungen zu treffen und die richtigen Prioritäten zu setzen.
Sie sagen: 14 von 100 Kennzahlen sind wirklich wichtig. Welche Kennzahlen sind das?
In der Grundlogik des Cockpits geht es um einen nachvollziehbaren Ursache-Wirkungs-Zusammenhang. Welche Indikatoren treiben den Erfolg? Wo sind die
entscheidenden Hebel? Aus der Marktperspektive geht es darum, die richtigen Kunden zu gewinnen und langfristig zu binden. Die Indikatoren lauten also
Kundenbindung, Kundengewinnung und Wertschöpfung pro Kunde. Prozesse schaffen Wettbewerbsvorteile in den Dimensionen Zeit („schneller“), Qualität („besser“),
Produktivität („günstiger“) und Individualität („maßgeschneidert“). Die Ebene der Mitarbeiter und der Führung lässt sich auf ein klares Ziel reduzieren: die
richtigen Mitarbeiter finden, gewinnen, entwickeln und langfristig binden. Die Kennzahlen hier sind Leistungsfähigkeit, Leistungsbereitschaft und
Leistungsbedingungen. Auf der Finanzebene geht es um Rendite (speziell die Verzinsung des eingesetzten Gesamtkapitals, also den Return on Capital Employed),
Wachstum, Risikotragfähigkeit (Value at Risk) sowie die Liquidität, meist als Brutto- oder Netto-Cashflow gemessen. Diese 14 Kennzahlen definieren in ihrer
Gesamtheit die strategischen Erfolgspotenziale jedes Unternehmens und sollten in einem Cockpit abgebildet werden.
Gerade kleinere Betriebe haben oft keine derart aufgefächerte Führungsstruktur. Die Unternehmensstrategie und das Controlling sind dort Sache des
Inhabers. Wie ist in solchen Fällen die Herangehensweise?
Ein gutes Cockpit lebt nicht von der aufwendigen Struktur großer Controllingabteilungen, sondern von gesundem Menschenverstand und einer klaren Strategie.
Je klarer das Konzept des Unternehmens, umso einfacher ist die Steuerung und die Umsetzung. Von der Aufgabe, dieses Zukunftskonzept zu entwickeln und
konsequent umzusetzen, sind große wie kleine Unternehmen nicht ausgenommen. Gerade für kleinere Unternehmen sollte aber der Grundsatz gepflegt werden: Keep it
strictly simple!
Nehmen wir an, ein Unternehmen hat die richtigen Kennzahlen herausgearbeitet. Welche Schritte sind nun noch auf dem Weg zu einem individuellen
Unternehmens- Cockpit notwendig?
Wenn die richtigen Kennzahlen definiert sind, also aus der Strategie die richtigen Schritte und Messgrößen definiert sind, ist das Cockpit ja schon
unternehmensindividuell. Es ist nur leider noch nichts umgesetzt. Der entscheidende Schritt ist jetzt die Verknüpfung der Kennzahlen mit dem Projektmanagement
im Unternehmen. Jetzt braucht es Verantwortlichkeiten, Zeitpläne, Meilensteinmeetings. Nur die Umsetzung definiert die Qualität des Cockpits. Dazu kommt, dass
dies keine einmalige Übung sein darf, sondern Teil der ritualisierten Unternehmensplanung ist. Nach dem Muster 7 (strategisch), 3 (mittelfristig) und 1
(operativ) wird jetzt eine Rolling Forecast (deutsch: rollierende Planung) aufgebaut, die jährlich stattfinden muss. Unbestritten benötigt jedes Unternehmen
ein strategisches Dachpapier, das die Mission und Vision sowie die strategischen Ziele für die nächsten sieben Jahre formuliert. Es ist der langfristige
Rahmen, in dem sich die strategische Entwicklung bewegt und der Antwort gibt auf die Frage: Womit wollen wir morgen unser Geld verdienen? Wenn die Zahl 7 auf
einer Zeitachse also für den langfristigen strategischen Rahmen steht, bedeutet die 3 die mittelfristige Fortschreibung der Strategie, die 1 die operative
Fortschreibung. Alle drei Perioden werden jährlich in einem Rolling Forecast um jeweils ein Jahr fortgeschrieben. So kommt es zu einem jährlichen Update auf
allen drei Zeitebenen, einer jährlichen Anpassung der strategischen, mittelfristigen und operativen Planung – hin zu einer strategisch-evolutionären
Entwicklung des Unternehmens. Nur wenn es zur erfolgreichen Gewohnheit wird, kann das Cockpit seine ganze Wirkung entfalten. Dann allerdings wird es im
wirklichen Sinne des Wortes unverzichtbarer Bestandteil der Wertsteigerung des Unternehmens.
Eine zentrale Rolle spielt bei Cockpit-Lösungen der Aspekt Visualisierung. Welche Vorzüge bietet die grafische Darstellung wichtiger Kennzahlen
mithilfe entsprechender Software?
Jeder von uns weiß: Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte. Manche Menschen können wohl auch nur aus Zahlen und Tabellen die richtigen Schlüsse ableiten – die
Mehrzahl von uns allen zieht Bilder vor. Durch die Visualisierung werden oft Zusammenhänge bewusst. Und wenn dann einer der Beteiligten sagt: „ So habe ich das
noch nie gesehen“, dann wird klar, dass hier ein elementar wichtiger Prozess stattgefunden hat. Die veränderte Wahrnehmung ändert die Einstellung, und nur so
sind Verhaltensänderungen dauerhaft möglich. Ein Cockpit ist also nicht nur ein Kennzahlensystem zur strategischen Steuerung und zur Früherkennung von Risiken,
es ist ein zentrales Führungsinstrument, wenn es richtig angewandt wird. Für mich ist jedenfalls eine gute Unternehmensführung ohne ein Cockpit nicht wirklich
vorstellbar.